Whisky, Tod und Teufel
Highland Park Distillery
Im Rahmen einer Tour durch die Highland Park Distillery bekam „Whisky-Vikar“ Wolfgang F. Rothe vor nicht allzu langer Zeit zu hören, dass diese im Jahr 1798 von einem gewissen Magnus Eunson gegründet worden sei. Weil das so aber nicht oder allenfalls zum Teil stimmt, hat sich unser Autor noch vor Ort entschlossen, hier die wahre Geschichte jener vielseitigen, aber auch zwiespältigen Persönlichkeit zu erzählen.
Anfang Juli dieses Jahres sorgte eine Pressemeldung für Aufsehen, wonach man auf den Orkney Inseln begonnen habe, ernsthaft darüber nachzudenken, sich sowohl vom Vereinigten Königreich als auch von Schottland zu lösen. Ein so genannter Orkxit, wie das Unterfangen in Anlehnung an den Brexit genannt wird, könnte unter Umständen dazu führen, dass die ganz im Norden Schottlands gelegene Inselgruppe irgendwann als selbstverwaltetes Gebiet dem Königreich Norwegen angehört.
Nachdem die Orkneys vom 9. Jahrhundert an von Wikingern zunächst wiederholt überfallen und schließlich besiedelt worden waren, gehörten sie schon einmal – und zwar fast sechs Jahrhunderte lang – zu Norwegen. Erst 1472, infolge der Heirat des schottischen Königs James III. mit der Tochter des norwegischen Königs Christian I., fielen sie an Schottland. Die kulturelle Verbundenheit zwischen den Orkney Inseln und Norwegen riss aber nie ganz ab – und sie ist bis heute lebendig geblieben.
Beargwöhnt und gefeiert
Diese uralte Verbundenheit spiegelt sich nicht zuletzt in vielen der auf den Orkneys verbreiteten Familiennamen wider, die ihre skandinavische Herkunft kaum verleugnen können. Dazu gehört auch der Name Eunson. Der wohl berühmteste Träger dieses Namens war ein gewisser Magnus Eunson, der im ausgehenden 18. Jahrhundert gelebt hat. Seine genauen Lebensdaten sind leider in Vergessenheit geraten. Was hingegen in Erinnerung blieb und geradezu legendär wurde, ist sein Charakter.
Mansie, wie er zu seiner Zeit gewöhnlich genannt wurde, war, zumindest oberflächlich betrachtet, eine zwiespältige Persönlichkeit. Auf der einen Seite war er ein frommes und hoch angesehenes Mitglied seiner Kirchengemeinde, auf der anderen Seite ein leidenschaftlicher Whiskyliebhaber, ein heimlicher Whiskybrenner und ein professioneller Whiskyschmuggler – mit anderen Worten: ein notorischer Gesetzesbrecher. Als solcher wurde er von den einen beargwöhnt, von den anderen gefeiert.
Im Dienst der Kirche
Um den erwähnten Zwiespalt umso größer erscheinen zu lassen, wird mitunter behauptet, dass Mansie Eunson ein Geistlicher oder Prediger gewesen sei. Das entspricht aber nicht oder zumindest nicht ganz den Tatsachen. Den örtlichen Überlieferungen zufolge war er von Beruf Metzger. Richtig ist, dass er darüber hinaus auch im Dienst der Kirche stand, und zwar als sogenannter Beadle. Ein Beadle hatte damals in etwa die gleichen Aufgaben zu erfüllen wie heutzutage ein Küster oder Mesner.
Als solcher war Mansie Eunson für die Ordnung und Sauberkeit in der ihm anvertrauten Kirche verantwortlich; außerdem hatte er die Geistlichkeit bei der Vorbereitung und Durchführung von Gottesdiensten zu unterstützen. Bei der ihm anvertrauten Kirche handelte es sich um die St Magnus Cathedral in Kirkwall, dem Hauptort der Orkney Inseln. Das Gotteshaus wurde vom 12. Jahrhundert an im romanischen Stil erbaut und später großzügig erweitert. Seit der Reformation dient es als Gemeindekirche.
Illegale Destillerie
Mansie Eunson nutzte das ihm anvertraute Gotteshaus freilich nicht nur für fromme Verrichtungen. Wie Alfred Barnard in seinem 1887 erstmals erschienenen Buch über „The Whisky Distilleries of the United Kingdom“ berichtet, diente es ihm außerdem als Lager und Umschlagplatz für illegal destillierten Whisky – und zwar für Whisky, den er selbst destilliert hatte. Seine Destillerie befand sich ein paar Kilometer außerhalb von Kirkwall in einem kleinen, hüttenähnlichen Gebäude, einem so genannten Bothy.
Eine illegale Whisky-Destillerie im ausgehenden 18. Jahrhundert darf man sich freilich nicht so vorstellen wie eine Whisky-Destillerie in heutiger Zeit. In der Regel handelte es sich um einen Ein-Mann-Betriebe, denn je mehr Leute Bescheid wussten, desto größer war die Gefahr entdeckt zu werden. Es gab auch kein fest installiertes Equipment, sondern lediglich ein paar kleine, transportable Gerätschaften, die man bei Bedarf aufbauen und nach Gebrauch rasch wieder zerlegen und verstecken konnte.
An heiliger Stätte
Die Mengen an Whisky, die in solchen illegalen Destillerien hergestellt wurden, waren in der Regel überschaubar. Umso wichtiger war es, sie an einem geeigneten Ort aufzubewahren – einem Ort, wo sie weder gestohlen noch von Steuerbeamten aufgespürt und beschlagnahmt werden konnten. Mansie Eunson lagerte seinen Whisky an einem Platz, der sicherer kaum hätte sein können – um es mit einem Wort aus der Bibel zu sagen: so sicher wie „in Abrahams Schoß“ (Lk 16,22), nämlich in der Kirche!
In der St Magnus Cathedral gab es damals eine gewaltige Kanzel, die auf einem hohen Podest frei im Kirchenraum stand. Heute gibt es diese Kanzel nicht mehr; da sie den ursprünglichen Raumeindruck störte, wurde sie im 19. Jahrhundert entfernt. Innerhalb des Kanzelpodests und damit direkt unter den Füßen des Predigers befand sich ein Verschlag, in dem allerlei Gerümpel – darunter Kerzenleuchter, Bücher und Putzutensilien – aufbewahrt wurde. Und genau hier lagerte Mansie Eunson seinen Whisky!
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Unglaubwürdige Predigt
Eines Sonntags ereiferte sich der Pfarrer lautstark darüber, dass nicht wenige seiner Gemeindemitglieder allzu sehr dem Whisky zugetan waren. Außerdem verdammte er in diesem Zusammenhang das ausufernde Schmugglerwesen auf den Orkney Inseln als gesetzeswidrig, unchristlich und teuflisch. Darüber berichtet William R. Mackintosh in seinem 1898 erschienenen Erzählband „Around the Orkney Peat Fires“. Mansie Eunson hätte zu Füßen des Pfarrers gesessen und keine Miene verzogen.
Ein besorgter Kunde von Mansie, der offenbar Bescheid wusste, sei nach dem Gottesdienst auf ihn zugekommen und hätte ihn flüsternd gefragt, was denn von den eben gehörten Tiraden des Pfarrers zu halten sei. Noch immer keine Miene verziehend soll Mansie geantwortet haben: „Ich meine, dass unser Geistlicher nicht sehr glaubwürdig ist, denn just zu der Zeit, als er seine Predigt hielt, lagerten unter seiner Kanzel sechs Fässer gefüllt mit dem besten Spirit, der jemals geschmuggelt wurde.“
In letzter Minute
Eines Tages jedoch wären ihm die Steuerbeamten beinahe auf die Schliche gekommen, wie wiederum Alfred Barnard berichtet: Nachdem Mansie von einer bevorstehenden Durchsuchung der Kirche erfahren hatte, gelang es ihm gerade noch rechtzeitig, die dort gelagerten Fässer zu sich nach Hause zu schaffen. Dort stellte er sie mitten in das größte Zimmer, legte ein Brett darüber und bedeckte das Ganze mit einem großen weißen Tuch, sodass es aussah, als ob sich ein Sarg darunter befände.
Dann rief er seine Familie zusammen, drückte allen ein Gebetbuch in die Hand, stellte sie zu beiden Seiten des vermeintlichen Sarges auf und begann selbst aus der Bibel vorzulesen. Als die Steuerbeamten kamen, um nach der Kirche auch noch das Zuhause der Eunsons zu durchsuchen, raunte er ihnen, als sie ins Zimmer traten, schluchzend zu: „Die Pocken!“ Aus lauter Angst sich anzustecken hätten die Steuerbeamten daraufhin ihren Einsatz schleunigst abgebrochen und das Weite gesucht.
Fragwürdige Verbindung
Bis heute wird Mansie in Kirkwall und Umgebung als eine Art Volksheld verehrt. Auch in der Highland Park Distillery, der zweifellos ältesten Whisky-Destillerie auf den Orkneys, beruft man sich nur allzu gern auf ihn. Ist es aber berechtigt, ihn als Gründer der Destillerie zu bezeichnen, wie das manchmal geschieht? Die Antwort ist ein klares Nein. Auch wenn sich Mansies Bothy in etwa dort befunden haben mag, wo heute die Highland Park Distillery steht, haben beide darüber hinaus nichts miteinander zu tun.
Auch das Gründungsjahr 1798, das selbstbewusst über dem Eingang der Highland Park Distillery prangt, lässt sich nicht eindeutig belegen. Sicher ist immerhin, dass eine Familie Borwick im Jahr 1826 die staatliche Brennlizenz für die heute noch bestehende Destillerie beantragt und auch erhalten hat. Aber die Geschichten um Mansie Eunson sind einfach zu spannend und reizvoll, um sie denen, die heutzutage auf die Orkneys reisen und die Higland Park Distillery besuchen, nicht trotzdem zu erzählen.
Reizvolle Geschichten
Doch was genau ist es, das diese Geschichten so spannend und reizvoll macht? Immerhin gab es zur Zeit von Mansie Eunson Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von illegalen Whiskyproduzenten und Whiskyschmugglern in Schottland. Das, was Magnus Eunson zu jemand ganz Besonderem macht, ist zweifellos sein Bezug zu Glaube und Kirche. Schließlich wird er nicht ohne Grund immer wieder zum Geistlichen befördert, obwohl er tatsächlich nur ein nebenamtlicher Küster oder Mesner war.
Indem man ihm zum Geistlichen erklärt, will man allem Anschein nach den Kontrast zwischen seinem religiös geprägten Lebensstil und seiner unbändigen Leidenschaft für Whisky noch einmal verstärken. Dabei wird ganz selbstverständlich und fraglos vorausgesetzt, dass Glaube und Kirche eigentlich unvereinbar seien mit dem Genuss von Alkohol im Allgemeinen und dem von Whisky im Besonderen. Das allerdings ist – man verzeihe dem Autor die saloppe Ausdrucksweise – kompletter Blödsinn.
Ehrenvolles Andenken
Nur so viel dazu: Jesus von Nazareth hat der Bibel zufolge 600 Liter Wasser in Wein verwandelt (vgl. Joh 2,1-11) und wurde von seinen Gegnern als „Fresser und Säufer“ (Mt 11,19) beschimpft. Wenn Mansie Eunson Freude am Whisky hatte, dann widersprach das somit in keiner Weise seinem Glauben und seinem kirchlichen Job. Seinen Job verfehlt hatte vielmehr jener Pfarrer, der Mansies „spirituellem“ Treiben in der Kirche schließlich ein Ende bereitete, indem er ihn als Beadle entließ.
William R. Mackintosh berichtet, dass Mansie danach nur noch selten einen Gottesdienst besucht hat – was ihm wahrlich nicht zu verdenken ist. Seinem Glauben tat dies alles jedoch keinen Abbruch und seiner Lebensfreude noch viel weniger. Er hat weiterhin dafür gesorgt, dass weder ihm noch seiner heimlichen Kundschaft der Whisky ausging. Und wenn es auch nicht zutrifft, dass er die Highland Park Distillery gegründet hat, tut man wahrlich gut daran, ihm dort ein ehrenvolles Andenken zu bewahren.
Autor
Dr. Wolfgang F. Rothe
wasserdeslebens@gmx.net
Fotovermerk
iStock, Bernhard Czerny, Wolfgang F. Rothe