Von Hexen und Heiligen

Mortlach Distillery und Priest’s Well

Dufftown, eine idyllische Kleinstadt im Verwaltungsbezirk Moray, gilt als die Whisky-Hauptstadt Schottlands, ja der ganzen Welt. Hier gibt es derzeit sechs aktive Whisky-Destillerien, mehr als in jedem anderen Ort der Welt. Die Mortlach Distillery ist nicht nur die älteste, sondern auch die geheimnisvollste von ihnen. Whisky-Vikar Wolfgang F. Rothe hat sich auf Spurensuche begeben, um einige dieser Geheimnisse zu lüften.

 

Ein im 19. Jahrhundert entstandenes und noch heute gern zitiertes Sprichwort besagt: „Rome was built on seven hills, Dufftown stands on seven stills” – zu Deutsch: „Rom wurde auf sieben Hügeln erbaut, Dufftown steht auf sieben Brennblasen“. Wenn man dieses Sprichwort zum ersten Mal hört, mag es einem recht gewagt vorkommen. Doch das, was das Sprichwort besagt, ist keineswegs untertrieben – im Gegenteil: Der Ruhm Dufftowns ist nämlich auf deutlich mehr als sieben Brennblasen begründet!

 

Zur Entstehungszeit dieses Sprichworts gab es in Dufftown nämlich sieben Whisky-Destillerien, die allesamt mindestens zwei Brennblasen hatten. Heute gibt es zwar nurmehr sechs aktive Destillerien in Dufftown, aber allein die größte von ihnen, die Glenfiddich Distillery, betreibt seit der Eröffnung eines neuen Brennhauses im Jahr 2019 sage und schreibe 42 Brennblasen! Kein Wunder also, dass Dufftown nicht nur in Schottland, sondern weit darüber hinaus als die Hauptstadt des Whiskys gilt.

 

Alt und geheimnisvoll

Obwohl die Glenfiddich Distillery mit bis zu 21 Millionen Litern reinen Alkohols pro Jahr die an ihrer Produktionskapazität bemessen größte Destillerie Schottland ist, gibt es in Dufftown eine, die ihr an Alter und Ruhm dennoch überlegen ist: die Mortlach Distillery. Gegründet wurde sie 1823, also recht bald nach dem so genannten Excise Act von 1822, mit dem die zuvor unverhältnismäßig hohen Lizenzgebühren für den Betrieb von Whisky-Destillerien ebenso wie die Alkoholsteuern drastisch gesenkt wurden.

 

Der hier produzierte Whisky genießt seit jeher einen exzellenten Ruf. Insbesondere die in ehemaligen Sherryfässern herangereiften Whiskys von Mortlach sind regelrecht legendär. Seit dem letzten, rundum gelungen Relaunch der Standardrange von 2018 sind sie auch wieder in einer Qualität und Menge erhältlich, die dem Ruf der Destillerie gerecht wird. Der legendäre Ruf von Mortlach geht aber nicht nur auf die hier produzierten Whiskys zurück, sondern auch auf den Ort, an dem sie entstehen.

 

Geschichtsträchtiger Ort

Die Mortlach Distillery hat ihren Namen nämlich von der gleichnamigen Siedlung, an deren südlichen Rand sie sich befindet. Diese Siedlung bildet heute einen Ortsteil von Dufftown, wobei Dufftown selbst erst ab 1817 planmäßig erbaut wurde, um den aus den napoleonischen Kriegen heimgekehrten Soldaten ein für damalige Verhältnisse komfortables Zuhause zu bieten. Mortlach selbst hingegen ist weitaus älter. Die Siedlung blickt nämlich auf eine Geschichte von mindestens 1400 Jahren zurück.

 

Ins Licht der Geschichte trat Mortlach in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Damals tauchte hier ein irischer Mönch auf, der zuvor als Wandermissionar durch Schottland gezogen war. In Mortlach allerdings scheint es ihm so gut gefallen zu haben, dass er beschloss, nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft zu bleiben. Er gründete ein Kloster, das sich bald zu einem der bedeutendsten geistlichen Zentren Schottlands entwickelte. Der Name jenes Mönchs, der später als Heiliger verehrt wurde, war Moluag.

 

Geistlicher Leuchtturm

Der heilige Moluag stammt ursprünglich aus Irland, wo er zwischen 510 und 530 geboren wurde. Ursprünglich hieß er nicht Moluag, sondern Lugaidh, wobei Moluag entweder sein Mönchsname oder ein von Kindheit an gebräuchlicher Kosename war. Er hatte in jungen Jahren eine exzellente Ausbildung erfahren und in seiner irischen Heimat bereits mehrere Klöster gegründet, als er den inneren Drang verspürte, den christlichen Glauben im damals noch weitgehend heidnischen Schottland zu verkünden.

 

Diesem Drang folgend gründete er auf der im Loch Linnhe gelegenen Insel Lismore ein Kloster. Auf dieser Insel leben heute nur noch wenige Menschen. Damals war sie hingegen ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Wer schon einmal mit der Fähre von Oban auf die Insel Mull übergesetzt ist, kennt zumindest ihren südlichen Zipfel, den der ikonische Leuchtturm „Lismore Lighthouse“ markiert. Dieser steht allerdings nicht auf Lismore selbst, sondern auf einer winzigen, Lismore vorgelagerten Insel.

 

Piktisches Quellheiligtum

Zur Zeit von Moluags Klostergründung auf der Insel Lismore stand diese allerdings bereits stark unter irischem und damit zugleich auch christlichem Einfluss. So entschloss sich der Heilige nach einige Jahren, erneut aufzubrechen, sich auf Missionsreise zu begeben und in Gegenden zu predigen, in die bis dahin noch keine christlichen Missionare vorgedrungen waren. Irgendwann nach 566 gründete er im Nordosten Schottlands ein weiteres klösterliches Missionszentrum – und zwar in Mortlach.

 

Den Ort wählte er nicht zufällig. Etwas oberhalb des für den Klosterbau auserkorenen Areals befand sich nämlich eine Quelle, die der piktischen Bevölkerung schon seit unvordenklichen Zeiten als heilig galt. Wie alle iro-schottischen Missionare war Moluag sehr darauf bedacht, die religiösen Traditionen, die er vorfand, nicht einfach auszulöschen, sondern möglichst fortzuführen. Bei Quellheiligtümern wie dem in Mortach war dies nicht schwer, da auch die christliche Taufe mit Wasser gespendet wird.


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Neues „geistliches“ Leben

Bis in die jüngere Vergangenheit wurde diese Quelle gewöhnlich als „Simmerluack’s Well“ – eine Verballhornung von „St Moluag’s Well“ – oder schlicht als „Priest’s Well“ bezeichnet. Mit dem Untergang des vom heiligen Moluag gegründeten Klosters in der Reformationszeit geriet der Ruhm dieser Quelle nämlich nicht in Vergessenheit. Und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass sie ausgerechnet in Alfred Barnards 1887 erschienenen Buch „The Whisky Distilleries of the United Kingdom“ erwähnt wird.

 

Näherhin berichtet Alfred Barnard davon, dass das von der Mortlach Distillery genutzte Wasser zumindest teilweise aus dem berühmten „Priest’s Well“ stamme und, wie er ausdrücklich hinzufügt, von exzellenter Qualität sei. Die Frage ist nur: Ist das auch heute noch so? Existiert jene Quelle noch? Und wenn ja: Wo genau befindet sie sich? Mittlerweile ist sie nämlich tatsächlich so gut wie in Vergessenheit geraden. Und das ist einmal mehr wenig verwunderlich, zugleich aber auch nicht minder traurig.

 

Quellenstudium

Es war im Herbst 2023, als sich der Verfasser dieses Artikels auf die Suche machte. Die ungefähre Lage der Quelle ist aus alten Karten bekannt, doch sucht man sie auf zeitgenössischen Karten vergeblich. Ausgangspunkt der Suche war das ehemalige Kloster Mortlach, von dem heute nur noch die Kirche existiert. Diese Kirche, die bis heute Mortlach Kirk oder Mortlach Church genannt wird, wurde im Laufe ihrer über 1400-jährigen Geschichte mehrfach zerstört, wiederaufgebaut und umgebaut.

 

Sie könnte unscheinbarer kaum sein. Obwohl sie zu den ältesten und bedeutendsten Kirchen Schottlands gehört, verirren sich nur wenige Touristen hierher. Schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite, befinden sich am Eingang eines kleinen Tals mehrere Lagerhäuser des Getränkekonzerns Diageo, in dessen Besitz sich sowohl die Morlach Distillery als auch die unweit entfernte Dufftown Distillery befinden. In diesem Tal, hinter den Lagerhäusern, müsste sich der legendäre Priest’s Well befinden.

 

Erfolgreiche Suche

Die Suche gestaltete sich recht schwierig, denn den Abraum, der beim Bau der Lagerhäuser angefallen war, hatte man dahinter zu einem rutschigen Damm aufgehäuft, hinter dem sich ein feuchtes, von umgestürzten Bäumen durchsetztes Dickicht auftat. Aber tief unten in diesem Dickicht glitzerte es plötzlich silbrig – und da war sie: „Priest’s Well“, die Quelle des heiligen Moluag! Viel ist allerdings nicht von ihr übrig, da sie schon nach wenigen Metern in einem unterirdisch verlegten Rohr verschwindet.

 

Allerdings taucht sie noch einmal auf, wenn auch nur akustisch: Auf der Südseite der erwähnten Lagerhäuser befindet sich eine unschöne, von Unkraut überwucherte Betoneinfassung, unter der man Priest’s Well leise plätschern hören kann. Von dort aus wird ihr Wasser nach wie vor über ein unterirdisches Rohrsystem zur Mortlach Distillery geleitet, wo es in der Whiskyproduktion Verwendung findet. Whisky aus der Mortlach Distillery ist also beinahe so etwas wie heiliges Wasser, wie Weihwasser.

 

Hinter den Kulissen

Davon berichtete dem Verfasser dieses Artikels niemand geringerer als Andrew Millsopp, der derzeitige Site Operation Manager der Mortlach Distillery, dessen Position in etwa mit einem Distillery Manager vergleichbar ist. Auch sonst hat die Mortlach Distillery, die über kein Besucherzentrum verfügt und Besuchern auch nur im Ausnahmefall Zutritt gewährt, einiges zu bieten, was sie und die hier entstehenden Whiskys zu etwas Besonderem, Unvergleichlichem, wenn nicht sogar Einmaligem macht.

 

Dazu gehört zunächst einmal das Equipment der Destillerie, vor allem die sechs Brennblasen – drei Wash Stills und drei Spirit Stills – die allesamt von ihrer Form und Größe her verschieden sind. Dass sich die Wash Stills von den Spirit Stills einer Destillerie unterscheiden, ist üblich. Dass sich aber sowohl die Wash Stills als auch die Spirit Stills auch noch untereinander unterscheiden, dürfte einmalig sein. Berühmt ist vor allem die kleinste Spirit Still, die den Namen „Wee Whitchie“, keine Hexe, trägt.

 

Mysteriöse Prozeduren

Doch damit nicht genug: Auch die sechs Worm Tubs, mit deren Hilfe die Destillate der einzelnen Brennblasen gekühlt werden, unterscheiden sich allesamt voneinander. Die eigentliche Besonderheit der Mortlach Distillery ist jedoch ihr äußerst komplizierter Destillationsprozess. Laut Andrew Millsopp gibt es weltweit keine zehn Personen, die diesen Destillationsprozess beherrschen. Insofern möge man dem Verfasser dieses Artikels nachsehen, wenn er hier von einer detaillierten Beschreibung absieht.

 

Aus diesem Destillationsprozess gehen am Ende drei komplett verschiedene Arten von New Make hervor, die vor der Fassabfüllung miteinander vermischt werden. Ob es denn stimmt, dass dieser finale New Make im Durchschnitt 2,81fach destilliert wurde, wollte nicht einmal Andrew Millsopp bestätigen. Wie dem auch sei: Zum legendären Ruf des Whiskys aus der Mortlach Distillery trägt nicht nur die lange Geschichte seiner Heimat bei, sondern auch seine unvergleichliche Produktionsweise.

 

Wasser des Lebens

Die lange Geschichte von Mortlach erzählt von Aufbau und Zerstörung, von Erinnern und Vergessen, von Bewahren und Erneuern. Das gilt sowohl für das vom heiligen Moluag gegründete Kloster als auch für die gleichnamige Destillerie. Immerhin gibt es eine Art roten Faden, der die gesamte Geschichte dieses Ortes durchzieht und der noch weit länger zurückreicht, als Menschen an diesem Ort leben und arbeiten: Die Quelle des heiligen Moluag, der mysteriöse „Simmerluack’s“ oder „Priest’s Well“.

 

Wasser ist nicht nur die Grundvoraussetzung der Whiskyproduktion, sondern auch die allen Lebens. Ohne Wasser gibt es keinen Whisky, ohne Wasser gibt es kein Leben. Das Wasser, das in der Mortlach Distillery Verwendung findet, stammt aus einer Vielzahl von Quellen, die in den umliegenden Hügeln entspringen. Das Wasser aus der Quelle des heiligen Moluag macht nur einen äußerst geringen Teil davon aus. Doch könnte es nicht sein, dass dieses Wasser so etwas wie die Seele von Mortlach ist?

 

 

Autor

Dr. Wolfgang F. Rothe
wasserdeslebens@gmx.net

 

Fotovermerk

Dr. Wolfgang F. Rothe

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